Folk Tale

Der Wassertropfen

Translated From

Vanddråben

AuthorH.C. Andersen
Book TitleEventyr
Publication Date1848
LanguageDanish

Other Translations / Adaptations

Text titleLanguageAuthorPublication Date
La goccia d'acquaItalian__
La gota de aguaSpanish__
The drop of waterEnglishH. P. Paull1872
VatnsdropinnIcelandicSteingríms Thorsteinssonar_
LanguageGerman
OriginDenmark

Du kennst doch wohl ein Vergrösserungsglas, so ein rundes Brillenglas, das alles hundertmal grösser macht, als es ist. Wenn man es nimmt und vor das Auge hält und sich einen Wassertropfen aus dem Teiche draussen ansieht, so erblickt man über tausend wunderliche Tierchen, die man sonst nie im Wasser bemerkt; aber sie sind da, es ist so. Es sieht fast aus wie ein ganzer Teller voll Krabben, die zwischen einander herumspringen, und so fressgierig sind, dass sie einander Arme und Beine, Enden und Kanten wegreissen, und doch sind sie froh und vergnügt auf ihre Art.

Nun war einmal ein alter Mann, den alle Leute Kribbel-Krabbel nannten, denn so hiess er. Er wollte immer das Beste von einer Sache haben, und wenn es so nicht gehen wollte, dann nahm er es durch Zauberei.

Nun sitzt er eines Tages und hält sein Vergrösserungsglas ans Auge und betrachtet einen Wassertropfen, den er aus einer Pfütze beim Graben genommen hatte. Nein, wie es darin kribbelte und krabbelte! Alle die tausend winzigen Tierchen hüpften und sprangen, rissen an einander und frassen von einander.

"Ja, aber das ist ja abscheulich!" sagte der alte Kribbel- Krabbel, "kann man sie nicht dazu bringen, dass sie in Frieden und Ruhe miteinander leben und jedes sich um sich selber bekümmert!" Und er dachte und dachte, aber es wollte nicht gehen, und da musste er zaubern. "Ich muss ihnen Farbe geben, damit sie deutlicher zu sehen sind!" sagte er, und dann goss er etwas wie einen kleinen Tropfen Rotwein in den Wassertropfen, aber das war Hexenblut, und zwar von der allerfeinsten Sorte zu zwei Schilling, und so wurden all diese wunderlichen Tierchen rosenrot über den ganzen Körper; es sah aus wie eine ganze Stadt voller nackter, wilder Männer.

"Was hast Du da?" fragte ein anderer alter Zauberer, der keinen Namen hatte, und das war eben das Vornehme an ihm.

"Ja, kannst Du raten, was das ist," sagte Kribbel Krabbel, "dann will ich es Dir schenken; aber es ist nicht leicht herauszufinden, wenn man es nicht weiss!"

Und der Zauberer, der keinen Namen hatte, sah durch das Vergrösserungsglas. Es sah wirklich aus wie eine ganze Stadt, worin alle Menschen ohne Kleider herumliefen. Es war schauerlich; aber noch schauerlicher war es, zu sehen, wie der eine den anderen puffte und stiess, wie sie sich zwickten und zwackten einander bissen und rissen. Was unten war, sollte nach oben, und was oben war, sollte nach unten. "Sieh, sieh, sein Bein ist länger als meins! Baff. Weg damit. Da ist einer, der hat einen kleinen Knopf hinter dem Ohr, ein kleines unschuldiges Knöpfchen, aber es peinigt ihn, deshalb soll er noch mehr gepeinigt werden!" Und dann hackten sie darauf los und zerrten ihn hin und her, und sie frassen ihn um des kleinen Knöpfchens willen. Da sass einer ganz stille wie eine kleine Jungfrau und wünschte sich nur Ruhe und Frieden. Aber nun musste die Jungfrau heraus, und sie zerrten sie hervor, rissen sie entzwei und frassen sie auf.

"Das ist ausserordentlich unterhaltsam!" sagte der Zauberer.

"Was meinst Du wohl, was das ist?" fragte Kribbel-Krabbel. "Kannst Du es herausfinden?"

"Das ist ja leicht zu erkennen!" sagte der andere. "Das ist Kopenhagen oder irgendeine andere grosse Stadt, die sehen ja eins aus wie das andere. Eine grosse Stadt ist es."

"Es ist Grabenwasser" sagte Kribbel-Krabbel.


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