Folk Tale

Tantchen

Translated From

Moster

AuthorH.C. Andersen
Book TitleEventyr
Publication Date1835
LanguageDanish

Other Translations / Adaptations

Text titleLanguageAuthorPublication Date
La tíaSpanish__
AuntyEnglish__
LanguageGerman
OriginDenmark

Du hättest Tantchen kennen sollen! Sie war reizend! Ja, das heisst, sie war gar nicht reizend, wie man es versteht, wenn man von 'reizend sein' spricht, aber sie war süss und lieb, unterhaltend auf ihre Weise, richtig um über sie zu sprechen, wenn man über jemanden sprechen und sich lustig machen soll, sie war, um sie direkt in eine Komödie zu setzten - und das einzig und allein, weil sie nur für das Komödienhaus lebte und alles, was sich darinnen rührt. Sie war so ehrenwert, aber der Agent Fabs, den Tantchen immer Flabs nannte, nannte sie theatertoll.

"Das Theater ist meine Schule," sagte sie, "meine Wissensquelle, von dort her habe ich meine biblische Geschichte aufgefrischt: 'Moses', 'Joseph und seine Brüder', das sind nun Opern! Ich habe vom Theater meine Weltgeschichte, Geographie und Menschenkenntnis! Ich kenne das Pariser Leben aus den französischen Stücken - schlüpfrig, aber höchst interessant! Wie habe ich geweint über 'Die Familie Riquebourg', dass der Mann sich tottrinken soll, damit sie den jungen Liebhaber bekommen kann! - Ja, wie viele Tränen habe ich doch geweint in den fünfzig Jahren, die ich abonniert bin!"

Tantchen kannte jedes Theaterstück, jede Kulisse, jede Person, die auftrat oder aufgetreten war. Sie lebte nur wirklich in den neun Theatermonaten. Der Sommer ohne Sommertheater war eine Zeit, die sie alt machte, während ein Theaterabend, der sich über Mitternacht hinauszog, eine Lebensverlängerung war. Sie sprach nicht wie andere Leute: "Nun haben wir Frühling, der Storch ist gekommen!" - "Es steht in der Zeitung, von der ersten Erdbeere." Sie dagegen verkündete das Kommen des Herbstes. "Haben Sie gesehen, und kommen die Theaterlogen zur Auktion, nun beginnen die Vorstellungen?"

Sie berechnete den Wert und die gute Lage einer Wohnung danach, wie nahe sie dem Theater lag. Es war ihr ein Schmerz, die kleine Gasse hinter dem Theater zu verlassen und in die grosse Strasse etwas weiter davon zu ziehen und dort in einem Haus zu wohnen, wo sie kein Gegenüber hatte.

"Zu Hause muss mein Fenster meine Theaterloge sein! Man kann doch nicht sitzen und in sich selber aufgehen; Menschen muss man doch sehen! Aber nun wohne ich, als wäre ich hinaus aufs Land gezogen. Will ich Menschen sehen, muss ich hinausgehen in meine Küche und mich auf den Gussstein setzen, nur da habe ich ein Gegenüber. Nein, als ich in meinem Gässchen wohnte, da konnte ich gerade zum Leinenhändler hineinsehen, und dann hatte ich nur drei Schritte zum Theater, nun habe ich dreitausend Gardistenschritte."

Tantchen konnte krank sein, aber wie schlecht sie sich auch fühlte, versäumte sie doch das Theater nicht. Ihr Arzt verordnete, dass sie eines Abends Sauerteig unter den Sohlen haben sollte, sie tat, wie er sagte, aber fuhr hin ins Theater und sass dort mit Sauerteig unter den Füssen. Wäre sie dort gestorben, so würde es sie gefreut haben. Thorwaldsen starb im Theater, das nannte sie einen "seligen Tod."

Sie konnte sich gewiss das Himmelreich nicht anders vorstellen, als dass auch dort ein Theater sein müsste; das war uns ja nicht verheissen, aber es war doch anzunehmen, dass die vielen ausgezeichneten Schauspieler und Schauspielerinnen, die vorausgegangen waren, einen weiteren Wirkungskreis haben mussten.

Tantchen hatte ihren elektrischen Draht vom Theater zu ihrer Wohnung; das Telegramm kam jeden Sonntag zum Kaffee. Ihr elektrischer Draht war "Herr Sivertsen von der Theatermaschinerie," der die Signale gab für Auf und Ab, Ein und Aus mit Vorhängen und Kulissen.

Von ihm bekam sie voraus eine kurze und lebendige Ankündigung der Stücke, Shakespeares "Sturm" nannte er "verfluchtes Zeug! Da ist so viel aufzustellen, und dann beginnt es mit Wasser bis zur ersten Kulisse!" Das hiess, so weit heran gingen die rollenden Wogen. Stand dagegen durch all die fünf Akte ein und dieselbe Zimmerdekoration, dann sagte er, dass es vernünftig und gut geschrieben sei, es war ein Ruhestück, es spielte sich selber, ohne Aufstellung.

In früher Zeit, wie Tantchen die Zeit vor einigen dreissig Jahren nannte, waren sie und der eben erwähnte Herr Sivertsen jünger; er war schon bei der Maschinerie und, wie sie ihn nannte, ihr Wohltäter. Es war nämlich zu der Zeit Sitte, dass bei der Abendvorstellung in dem einzigen und grossen Theater der Stadt Zuschauer auch auf den Boden kamen, jeder Maschinist hatte über einen oder zwei Plätze zu verfügen. Es war da oft gestopft voll und sehr feine Gesellschaft; man sagte, dass da sowohl Generalinnen als auch Kommerzienrätinnen gewesen seien; es war so interessant, hinter die Kulissen hinabzusehen und zu wissen, wie die Menschen gingen und standen, wenn der Vorhang unten war.

Tantchen war mehrere Male dagewesen, sowohl zu Tragödien, als auch zu Ballet, denn die Stücke, wo das meiste Personal auftrat, waren die interessantesten vom Boden. Man sass so ziemlich im Dunkeln dort oben, die meisten hatten Abendbrot mit; einmal fielen drei Äpfel und eine Schnitte Butterbrot mit Rollwurst gerade hinab in Ugolinos Gefängnis, wo der Mensch Hungers sterben sollte, und da entstand ein Gelächter im Publikum. Die Rollwurst war einer der wichtigsten Gründe, weshalb die hohe Direktion die Zuschauerplätze auf dem Boden ganz aufheben liess.

"Aber ich war siebenunddreissigmal da," sagte Tantchen, "und das vergesse ich Herrn Sivertsen niemals."

Es war gerade der letzte Abend, dass der Boden dem Publikum geöffnet war, da wurde "Salomons Urteil" gespielt, Tantchen erinnerte sich so genau; sie hatte durch ihren Wohltäter, Herrn Sievertsen, dem Agenten Fabs ein Eintrittsbillett verschafft, obgleich er es nicht verdiente, da er immer Narrenpossen mit dem Theater trieb und neckte; aber sie hatte ihn nun da hinaufgeschafft. Er wollte das Komödienzeug von der Kehrseite sehen, das waren seine eigenen Worte, und sie sahen ihm ähnlich, sagte Tantchen.

Und er sah "Salomons Urteil" von oben und schlief ein; Man sollte wahrlich glauben, dass er von einem grossen Diner mit vielen Toasten gekommen sei. Er schlief und wurde eingeschlossen, und schlief in der dunklen Nacht auf dem Theaterboden, und als er erwachte, erzählte er, aber Tantchen glaubte ihm nicht, da war "Salomons Urteil" aus, alle Lampen und Lichter waren aus, alle Menschen aus, oben und unten; aber da begann erst das richtige Theater, das "Nachspiel," das war das Netteste, sagte der Agent. Da kam Leben in das Zeug! Es war nicht "Salomons Urteil," das gegeben wurde, nein, es war der Gerichtstag auf dem Theater. Und all das hatte der Agent Fabs die Frechheit, Tantchen einreden zu wollen; das war der Dank, weil sie ihn auf den Boden hinaufgeschafft hatte.

Was erzählte doch der Agent, ja, das war komisch genug zu hören, aber es lag Bosheit und Neckerei zugrunde.

"Es sah dunkel aus dort oben," sagte der Agent, "aber dann begann das Zauberzeug, grosse Vorstellung 'Gerichtstag auf dem Theater'. Die Kontrolleure standen an den Türen, jeder Zuschauer musste sein geistiges Zensurbuch vorzeigen, ob er mit freien Händen hineinkommen durfte oder mit gebundenen, mit Maulkorb oder ohne Maulkorb. Herrschaften, die zu spät kamen, wenn die Vorstellung schon begonnen hatte, ebenso junge Menschen, die ja unmöglich immer die Zeit abpassen können, wurden draussen gefesselt, bekamen Filzsolen unter die Füsse, um beim Anfang des nächsten Aktes hineinzugehen, dazu auch einen Maulkorb. Und dann begann der Gerichtstag."

"Reine Bosheit, von der Gott nichts weiss," sagte Tantchen.

Der Maler sollte, wollte er in den Himmel, eine Treppe hinaufgehen, die er selber gemalt hatte, die aber kein Mensch hinaufklettern konnte. Das war ja nur eine Sünde gegen die Perspektive. Alle die Pflanzen und Gebäude, die der Maschinenmeister mit grosser Ungelegenheit in Länder gestellt hatte, in die sie nicht hineingehörten, sollte der arme Mensch an den rechten Ort versetzen, und das vor dem ersten Hahnenschrei, wenn er in den Himmel hineinwollte. Herr Fabs sollte nur sehen, dass er selber hineinkommen könne; und was er von dem Personal erzählte, von der Komödie, von Gesang und Tanz, war nun das Schwärzeste von Herrn Fabs, Flabs! Er verdiente nicht, auf den Boden zu kommen, Tantchen wollte seine Worte nicht in den Mund nehmen. Es war niedergeschrieben, das Ganze, was er gesagt hatte, der Flabs! Es sollte in Druck kommen, wenn er tot und unter der Erde wäre, nicht früher; er wollte nicht geschunden werden.

Tantchen war nur einmal in Angst und Not gewesen in ihrem Glückseligkeitstempel, dem Theater. Es war ein Wintertag, einer von den Tagen, an denen es nur zwei Stunden Tag ist und auch da grau. Es war eine Kälte und ein Schnee, aber ins Theater musste Tantchen; sie gaben "Herman von Unna," dazu eine kleine Oper und ein grosses Ballett, einen Prolog und einen Epilog. Es würde erst in der Nacht aus sein. Tantchen musste dahin; ihre Mieter hatten ihr ein Paar Pelzstiefel geliehen mit Fell aussen und innen; sie reichten ihr hoch an den Beinen hinauf.

Sie kam ins Theater, sie kam in die Loge; die Stiefel waren warm, sie behielt sie an. Auf einmal wurde "Feuer" gerufen; es kam Rauch von einer Kulisse, es kam Rauch vom Boden; es wurde ein fürchterlicher Schrecken. Die Leute stürmten hinaus; Tantchen war die letzte in der Loge - "zweiter Stock links, da nehmen sich die Dekorationen am besten aus," sagte sie, "sie werden immer so aufgestellt, dass sie sich von der königlichen Seite am besten ausnehmen" - Tantchen wollte hinaus, die vor ihr warfen in Angst und Unbedachtheit die Türe zu; da sass Tantchen, hinaus konnte sie nicht kommen, hinein auch nicht, das heisst, hinein in die Nachbarloge, das Geländer war zu hoch. Sie rief, niemand hörte, sie sah hinab in den Stock unter ihr, der war leer, der war niedrig, der war ganz nahe; Tantchen fühlte sich in der Angst so jung und so leicht; sie wollte hinabspringen, brachte auch das eine Bein über die Brüstung, das andere auf die Bank; da sass sie rittlings, schön drapiert mit ihrem blumigen Rock, mit einem langen Bein, das über den Rand hinausschwebte, einem Bein mit einem ungeheuren Pelzstiefel; das war ein Bild zu sehen! Und da es gesehen wurde, wurde Tantchen auch gehört und davor gerettet, drinnen zu verbrennen, denn das Theater brannte nicht.

Das war der erinnernswerteste Abend ihres Lebens, sagte sie und war froh darüber, dass sie sich nicht selber hatte sehen können, denn sonst wäre sie vor Scham gestorben.

Ihr Wohltäter bei der Maschinerei, Herr Sivertsen, kam beständig jeden Sonntag zu ihr, aber von Sonntag zu Sonntag war eine lange Zeit; in der späteren Zeit hatte sie deshalb mitten in der Woche ein kleines Kind "zum Überrest," das heisst, um das zu geniessen, was an dem Tag von Mittag übrigblieb. Es war ein kleines Kind vom Ballett, das das Essen auch brauchte. Die Kleine trat als Elfe und auch als Page auf; die schwierigste Partie war als Hinterfuss des Löwen in der "Zauberflöte," aber sie wuchs auf zum Vorderbein vom Löwen, dafür bekam sie freilich nur drei Mark, die Hinterbeine gaben einen Reichstaler, aber da musste sie krumm gehen und die frische Luft entbehren. Das war sehr interessant zu wissen, meinte Tantchen.

Sie hätte verdient, zu leben, solange das Theater stand, aber das hielt sie doch nicht aus; sie starb auch nicht dort, sondern anständig und ehrbar in ihrem eignen Bett; ihre letzten Worte waren übrigens ganz charakteristisch, sie fragt: "Was spielen sie morgen?"

Nach ihrem Tode waren wohl ungefähr fünfhundert Reichstaler da; wir schliessen aus der Rente, die zwanzig Reichstaler machte. Die hatte Tantchen als Legat für eine würdige alte Jungfer ohne Familie bestimmt; sie sollte verwendet werden, um jährlich einen Platz im zweiten Stock links für den Sonnabend zu abonnieren, denn an dem Tag gab man die besten Stücke. Es war nur eine einzige Verpflichtung an die Nutzniessung des Legats geknüpft: jeden Sonnabend sollte die, die im Theater war, an Tantchen denken, die in ihrem Grabe lag.

Das war Tantchens Religion.


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