Folk Tale

Der Dummling

Translated From

Lo 'ngnorante

AuthorGiambattista Basile
Book TitleLo cunto de li cunti overo lo trattenemiento de peccerille
Publication Date1634
LanguageNeapolitan

Other Translations / Adaptations

Text titleLanguageAuthorPublication Date
The BoobyEnglish__
ATU513
LanguageGerman
OriginItaly

Nun begann Paola ihre Geschichte aus dem Brunnen der eigenen Empfindungen zu schöpfen: Zu jeder Zeit hat man einen dummen Menschen, der die Gesellschaft solcher, die etwas können, zu suchen bemüht ist, mehr gelobt als einen klugen, der mit Einfältigen umgeht; denn soviel Nutzen und Ansehen man durch jene erlangen kann, soviel Vermögen und Ehre kann man durch diese verlieren, und wie man das Gold an der Probe erkennt, so werdet ihr an folgender Erzählung erkennen, ob das, was ich eben gesagt, auch wahr sei. Es lebte einmal in einer Stadt ein Vater, der zwar mehr Geld besaß, als Sand am Meer ist, aber auch (da einmal kein Glück auf Erden vollkommen zu sein pflegt) einen so dummen und tölpelhaften Sohn, daß er nicht schwarz von weiß zu unterscheiden vermochte. Als nun der Vater seine albernen Streiche nicht länger ertragen konnte, gab er ihm eines Tages ein hübsches Stück Geld und schickte ihn zum Einkauf von Waren in die Levante, wohl wissend, daß der Aufenthalt in fremden Ländern und der Umgang mit verschiedenen Leuten den Verstand weckt, das Urteil schärft und den Menschen erfahren macht. Mascione (so hieß nämlich der Sohn) stieg also zu Pferd und nahm seinen Weg nach Venedig, dem Sammelplatz der Wunder der Welt, um sich dort an Bord irgendeines nach Kairo bestimmten Schiffes einzuschiffen. Als er auf diese Weise eine gute Tagesreise zurückgelegt hatte, begegnete er einem Jüngling, der unbeweglich am Fuß einer Pappel stand, und sprach zu ihm: »Wie heißest du, Freund, woher bist du und was kannst du?« Worauf jener antwortete: »Ich heiße Blitz, bin von Pfeilstadt und kann so schnell laufen wie der Wind.« – »Ich wollte wohl eine Probe von deiner Geschwindigkeit sehen«, versetzte Mascione, und jener erwiderte: »Wart ein bißchen, du sollst bald sehen, ob ich dir was weismache.« Während sie nun so eine kurze Zeit dastanden, sahen sie plötzlich einen Hirsch über das Feld laufen, den Blitz, um ihm einen größeren Vorsprung zu geben, erst ein gutes Stück sich zuvorkommen ließ, worauf er ihm so leichtfüßig und mit solcher Schnelligkeit nachjagte, daß, wenn er über einen mit Mehl bestreuten Fußboden gelaufen wäre, er keine Spur seiner Schritte zurückgelassen haben würde, und er auf diese Weise den Hirsch, ehe man sich dessen versah, eingeholt hatte. Mascione fragte daher den Jüngling, ob er bei ihm bleiben wollte; denn er würde ihn königlich bezahlen, und da Blitz es zufrieden war, zogen sie gemeinschaftlich weiter. Sie waren aber noch keine vier Meilen vorwärts gekommen, so begegneten sie einem anderen jungen Burschen, zu welchem Mascione wiederum sagte: »Wie nennst du dich, Kamerad? Aus welchem Lande bist du, und was für ein Handwerk hast du gelernt?« Worauf jener versetzte: »Ich heiße Hasenohr, bin aus Neugierstadt, und wenn ich mich mit dem Ohr auf die Erde lege, so weiß ich, ohne mich vom Fleck zu rühren, alles, was in der Welt vorgeht, indem ich die Zusammenkünfte und Besprechungen der Handwerker, auf denen sie die Preise der Dinge in die Höhe zu treiben verabreden, die Schelmereien der Höflinge, die Schändlichkeiten der Kuppler, die heimlichen Gespräche der Liebenden, die Klagen der Diener, die Berichte der Spione, die Klatschereien der alten Weiber und die Flüche der Matrosen vernehme, so daß weder der weise Hahn des Lukian noch die Wunderlampe Aladins so vieles belauschten als diese meine Ohren.« – »Wenn das wirklich so ist«, erwiderte Mascione, »so sage mir, was bei mir zu Hause vorgeht.« Worauf jener sich alsbald mit dem Ohr auf die Erde legte und sprach: »Ich höre, wie ein alter Mann zu seiner Frau sagt: ›Gott sei Dank, daß ich mir endlich Mascione vom Leibe geschafft habe, diesen einfältigen Tropf, diesen Dorn in meinen Augen; denn wenigstens wird er doch, wenn er sich in der Welt umsieht, ein Mensch werden und nicht mehr so ein ungeheurer Esel, so ein Erzpinsel, so ein Tagedieb sein.‹« – »Genug, genug«, rief Mascione aus, »nun glaube ich, was du sagst, komm also nur jetzt mit mir; denn dein Glück ist gemacht.« – »Ich bin's zufrieden«, versetzte jener, und alsbald zogen sie weiter. Sie hatten jedoch kaum zehn Meilen zurückgelegt, als sie wieder jemand antrafen, zu dem Mascione sagte: »Wie ist dein Name, wackerer Bursch, wo bist du geboren, und wozu taugst du in der Welt?« – »Ich heiße Triffgut«, erwiderte jener, »bin aus dem Flecken Gerad-ins-Ziel und kann mit meiner Armbrust so genau schießen, daß ich mitten in einen Holzapfel treffe.« – »Davon möchte ich doch gern einmal eine Probe sehen«, erwiderte Mascione, worauf der Jüngling seine Armbrust ergriff und, nachdem er genau gezielt, eine Erbse von einem Stein herunterschoß, so daß Mascione ihn gleich den andern mit sich nahm. Nachdem sie nun wieder eine Tagesreise zurückgelegt hatten, begegneten sie einigen Leuten, die in der glühenden Mittagshitze an einem Damm bauten, so daß sie mit Recht hätten singen können: »Wein her, Wein her oder ich fall' um und um!« Mascione empfand daher so großes Mitleid mit ihnen, daß er zu ihnen sprach: »Wie fangt ihr es nur an, liebe Leute, daß ihr in diesem Kalkofen aushaltet, in welchem man einen Stein weich kochen könnte.« Worauf einer von ihnen antwortete: »Wir fühlen uns hier so behaglich wie in einem frischen Bade; denn wir haben hier einen jungen Burschen bei uns, der uns von hinten her dergestalt anbläst, als hätten wir den Westwind im Rücken.« – »Tu mir doch den Gefallen und laß mich einmal den Patron sehen«, versetzte Mascione, daher der Arbeiter den Burschen herbeirief und Mascione zu ihm sagte: »Wie heißt du denn, Freund, wo bist du geboren, und was für ein Handwerk treibst du?« – »Ich heiße Blasius«, entgegnete jener, »bin aus Windstadt und kann mit meinem Munde alle Winde machen; wenn du einen Zephir haben willst, so sollst du darüber ganz in Entzücken geraten, und willst du einen Boreas, so blase ich dir Häuser um.« – »Was ich sehe, glaube ich!« versetzte Mascione, worauf jener zuerst ganz leise zu blasen anfing, daß man den Wind zu empfinden glaubte, der des Abends beim Posilippo weht, und dann sich plötzlich nach einigen Bäumen hinwendend, entsandte er einen so gewaltigen Sturm aus seinem Munde, daß er eine ganze Reihe Eichen entwurzelte, weswegen Mascione auch ihn als Reisegefährten mitnahm. Nachdem sie nun wieder eine Tagesreise weiter gekommen waren, traf er einen andern Jüngling an und sprach zu ihm: »Mit Verlaub, wie heißest denn du? Woher bist denn du, wenn du's nicht übelnimmst? Und was für ein Handwerk treibst du, wenn man fragen darf?« Und jener sprach: »Ich heiße Starkrücken, bin aus Starkenfels und bin so kräftig, daß, wenn ich mir einen Berg auf den Buckel nehme, er mir so leicht scheint wie eine Feder.« – »Wenn dem so ist«, versetzte Mascione, »so verdientest du, König der Lastenträger zu sein, und würdest gewiß den Preis unter allen davontragen; jedoch möchte ich gern ein Pröbchen deiner Kunst sehen.« Sogleich fing Starkrücken an, sich gewaltig große Steine, Baumstämme und andere Lasten aufzuladen, dergestalt, daß tausend Fuhrmannswagen sie nicht fortgeschafft haben würden. Kaum aber sah dies Mascione, so nahm er ihn gleichfalls in seine Dienste, und indem sie hierauf alle miteinander weiterreisten, kamen sie bald nachher in Blumental an. Der König dieser Stadt nun hatte eine Tochter, die so schnell laufen konnte wie der Wind, und über ein Saatfeld hingeeilt wäre, ohne die Ähren krummzubiegen, so daß der Vater eine öffentliche Bekanntmachung hatte ergehen lassen, wer seine Tochter im Lauf erreiche, solle sie zur Frau bekommen. Als daher Mascione in dieser Stadt anlangte und von dem Erlaß hörte, begab er sich zum König und erbot sich, mit der Prinzessin um die Wette zu laufen. Nachdem sie nun übereingekommen waren, daß Mascione entweder Schusters Rappen gehörig reiten oder um einen Kopf kürzer gemacht werden sollte, ließ dieser am darauffolgenden Morgen dem Könige sagen, daß er einen Durchfall bekommen hätte und daher nicht in eigener Person laufen könnte, jedoch statt seiner einen Stellvertreter schicken würde. »Mag kommen, wer da will«, versetzte Ciannetella (so hieß nämlich die Prinzessin), »mir ist es alles gleich, und ich habe genug für alle.« Als daher die Rennbahn sich mit Leuten, die den Wettlauf mit ansehen wollten, dergestalt angefüllt hatte, daß sie wimmelte wie von Ameisen, und die Fenster und Dächer so vollgedrängt waren, daß keine Nadel zur Erde fallen konnte, erschien Blitz, nahm seinen Platz an dem einen Ende der Bahn und erwartete das Zeichen der Trompeten; zuletzt erschien auch Ciannetella in einem Röckchen, das ihr nur bis ans Knie reichte, und in niedlichen, zierlichen, ungemein kleinen Schuhen mit einfachen Sohlen und stellte sich neben Blitz. Kaum aber vernahmen sie das Trarara und Tututu der Trompete, so fingen sie an zu laufen, daß ihnen die Fersen die Schultern berührten und sie Hasen glichen, die von Windspielen verfolgt werden, Rossen, die sich aus dem Stalle losgerissen, Hunden, die man mit Wasser begossen, und Eseln, die eine Klette am Schwanz haben. Blitz jedoch, der den Namen und die Tat hatte, ließ Ciannetella mehr als eine Elle weit hinter sich, und nicht sobald hatte er das Ziel erreicht, so vernahm man auch ein gewaltiges Getümmel und Lärmen, Schreien und Tosen, Pfeifen, Klatschen und Trappeln unter den Zuschauern, wobei sie ausriefen: »Es lebe der Fremde, vivat hoch!« Und Ciannetella wechselte die Farbe wie der Hintere eines Schuljungen, den man ordentlich durchgegerbt, indem sie ganz verwirrt und beschämt darüber war, sich besiegt zu sehen. Da indes der Wettlauf zweimal stattfinden sollte, so wollte sie durchaus diesen Schimpf beim zweiten Mal wiedergutmachen, und nach Hause zurückgekehrt, feite sie einen Ring durch einen solchen Zauber, daß dem, der ihn am Finger trug, die Beine völlig erstarrten und er selbst nicht einmal gehen, geschweige denn laufen konnte, worauf sie ihn dem Blitz zum Geschenk sandte, damit er ihn als ein Andenken an sie trüge. Hasenohr hatte nun zwar diese geheime Verabredung zwischen Vater und Tochter mitangehört, hielt sich jedoch ganz ruhig und wartete das Ende des ganzen Handels ab, so daß, als die Sonne unter lautem Trompeten der Vögel die auf dem Esel der Dunkelheit reitende Nacht vor sich her zu peitschen begann und nach gegebenem Zeichen die beiden wieder ihr Fersenspiel anfingen, Ciannetella nicht sowohl eine zweite Atalante als vielmehr Blitz ein lahmer Esel oder ein steifes Pferd zu sein schien; denn er konnte auch keinen Fuß von der Stelle rühren. Da jedoch Triffgut die Not seines Gefährten wahrnahm und von Hasenohr hörte, wie die Sachen standen, ergriff er seine Armbrust und schoß mit einem Bolzen so genau nach dem Finger des Blitz, daß der Stein, der die Zauberkraft enthielt, aus dem Ringe sprang, die gefesselten Beine jenes sich lösten und er in einigen Sprüngen, Ciannetella überholend, den Preis gewann. Sobald nun der König diesen Sieg eines Gimpels, diese Palme eines Tölpels, diesen Triumph eines Pinsels vernahm, wußte er nicht recht, ob er ihm seine Tochter geben sollte oder nicht, und nachdem er die weisesten Männer an seinem Hofe zu Rat gezogen, sprachen diese ihre Meinung dahin aus, daß Ciannetella kein Bissen für solch einen Lumpenhund und Tagedieb wäre und daß er, ohne einen Wortbruch zu begehen, sein Versprechen, ihm die Tochter zu geben, in ein Geldgeschenk verwandeln könne, das einem solchen zerfetzten Bettler wohl willkommener sein würde als alle Frauen der Welt. Dem König gefiel dieser Rat, und er ließ daher Mascione fragen, wieviel Geld er statt der ihm versprochenen Prinzessin haben wolle; worauf dieser unter Beistimmung seiner Gefährten antwortete: »Ich verlange so viel Gold und Silber, als einer von meinen Begleitern tragen kann.« Der König war es zufrieden, und alsbald fing man an, auf Starkrücken eine Unzahl von Koffern mit Dukaten, Säcken mit Zechinen, Beuteln mit Talern, Fässern mit Kupfergeld und Kisten mit goldenen Ketten und Ringen zu laden; je mehr man ihn aber bepackte, desto fester stand er, gleich einem Turme, so daß, als weder die Schatzkammer noch die Banken, Wucherer und Wechsler der ganzen Stadt genügten, der König bei allen vornehmen Leuten umherschicken und von ihnen Leuchter, Becken, Pokale, Schalen, Schüsseln, Teller, Körbe und sogar Nachtgeschirre von Silber leihen mußte. Zwar genügte auch dies immer noch nicht, um das Geforderte vollzumachen; jedoch zogen endlich Mascione und seine Gefährten, wenn auch nicht mit voller Ladung; so doch gesättigt und überdrüssig ihres Weges. Als aber die Räte des Königs sahen, daß ein paar Lumpenhunde so viel Schätze fortschleppten, sagten sie zu ihm, daß es eine große Eselei wäre, die ganze Kraft des Reiches wegführen zu lassen, und es daher rätlich schiene, diesen Kerlen Leute nachzuschicken, um die Bürde jenes Atlas, der auf seinen Schultern einen Himmel an Gold und Silber trug, ein wenig zu erleichtern. Der König gab diesem Rate Gehör und sandte Mascione sogleich eine Schar Bewaffneter zu Fuß und Roß nach; da indes Hasenohr, der diesen Anschlag bereits belauscht hatte, seine Gefährten von ihm unterrichtete und durch die Fußtritte derer, die die reiche Ladung abzuladen kamen, der Staub schon bis zum Himmel emporstieg, fing Blasius, der sah, wie schlecht die Sachen standen, dergestalt zu blasen an, daß er nicht nur alle sie verfolgenden Kriegsleute zu Boden warf, sondern sie auch noch mit der Kraft eines Nordwindes über eine Meile weit forttrieb, so daß Mascione nebst seinen Gefährten ohne weitere Hindernisse im Hause seines Vaters anlangte und da den Gewinn mit ihnen teilte (denn man pflegt zu sagen: Guter Dienst verdient guten Lohn), worauf jene ganz froh und zufrieden fortgingen, er selbst aber bei seinem Vater zurückblieb, reich wie ein Krösus, einem goldbeladenen Esel gleich, indem auch an ihm das Sprichwort nicht zum Lügner wurde: Gott gibt jedem, was er braucht.


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